Text zu den Arbeiten 2006 - 2008

Renate Olbrich – Jenseits formalistischer Ästhetik

Vagheit ist ein Stilmittel der sprachlichen Komposition wie auch der bildnerischen Gestaltung. Vagheit kann die Unbestimmtheit eines Gegenstandes ausmachen und ebenso nicht minder eine Vieldeutigkeit. Bei Renate Olbrich wird sie neben der Unschärfe des Umrisses auch als sfumato, das heißt als dunstartiger Schleier erzeugt. In beiden Fällen bleibt die Umgebung recht eindeutig erkennbar. Je weiter ein Gegenstand im Bild in den Hintergrund gerückt erscheint, desto kleiner werden seine Maße, desto mehr verschwimmen die Details des Umrisses neben denen der Binnenzeichnung. Es verbleibt eine Silhouette im Dunst. Die Vagheit der zentralen Motive in Olbrichs fotografischen Arbeiten zeugen von einer privaten Idylle. Es bleibt der Deutungsrichtung des jeweiligen Betrachters anheim gegeben, wie er die Wirkung einzelner Bildelemente einschätzt. Das wiederum ist von seinen Vorlieben und den damit verbundenen Erinnerungen abhängig. Sie verweisen auf ihn nahe liegende Assoziationen, die aus der Vagheit eine Vexierung in mögliche reale Situationen hervorzubringen vermögen.

Ferner ist die Vagheit bei Olbrich durch individuelle Mythologien geprägt, also durch ihr persönliches Umfeld . Sie vermittelt diese durch ihr entwickeltes , spezielles technisches Verfahren, beruhend auf der so genannten Solarisation . Fragmentarische bildnerische Details werden durch diese Technik aufbereitet und intensiv weiter verarbeitet. Während die kraftvolle Farbgebung als emotionaler Indikator eingesetzt wird, verstärkt die Solarisation die der Fotografie ohnehin schon inhärente Flüchtigkeit des Augenblicks. In der großformatigen Arbeit „Collage Sayonara“ (2008) sind Objekte und Elemente der häuslichen Umgeben – Menschen- und Tierfiguren, Stoff etc. – symmetrisch arrangiert. In Olbrichs „Tropenhaus“-Serie (2007/08) stehen in einer geometrisch aufgelockerten Bildkomposition floralische Motive Tiergestalten gegenüber, ergänzt durch abstrakte Formen, die der Betrachter nicht unbedingt näher identifizieren kann. Die im Bild auftauchenden Objekte spiegeln die Sammelleidenschaft der Künstlerin wider, für die der Akt des Sammelns „die Möblierung der eigenen Natur jenseits formalistischer Ästhetik oder Dekoration“ darstellt. Olbrichs Werke gehören ebenso dem Genre der inszenierten wie auch dokumentarischen Fotografie an. 

Die „Oberflächenäußerungen“ einer bildmächtigen Gegenwart, schreibt Siegfried Kracauer in seinem Essay „Das Ornament der Masse“ (1927), verrät mehr über den Ort der Epoche als die „Urteile der Epoche über sich selbst“. Olbrich artikuliert in ihren Solarisationen eine grundlegende Skepsis gegenüber diesen „Oberflächenäußerungen“. In gekonnter Schattierung, deren Farbpalette von rot-orange über gelb bis lila oder blau-grün reicht, sind die Fotografien bruchlos und wirken dabei verführerisch. Stets erscheinen akribisch ausgearbeitete, detailreiche Silhouetten im Gegenlicht, sodass man die einzelnen Bildelemente zum Teil nur als monochrome Fläche wahrnehmen kann, die sich jedoch weitgehend harmonisch in das intensiv leuchtende Farbspiel integrieren. Durch diese Ästhetik entfalten die Solarisationen einen geradezu malerischen Charakter. Olbrich ist es so gelungen, Malerei und Fotografie miteinander zu verknüpfen. Dies verwundert kaum, war doch die Künstlerin in ihren Anfängen eher der Malerei zugeneigt. Haben sich die Solarisationen aus ihren frühen Gemälden entwickelt, ergeben sich aus den Fotografien in jüngster Zeit malerische Werke, die durch ihre reduktive Formen auffallen. Auch hier wird in einer Reihe von Arbeiten, die die Künstlerin ebenfalls zur „Tropenhaus“-Serie zählt, das Stilmittel der Vagheit eingesetzt. Die Kontur, direkt aus der Farbtube wulstig aufgetragen, und monochrome Flächen stehen wie bei den Solarisationen im Bildvordergrund und betonen die Reduktion der Formen, die sich wieder aus Objekten und Elementen der direkten Umgebung von Olbrich zusammensetzen. Farbliche Nuancierungen ergeben sich durch die Überlagerung zahlreicher Lasurschichten die auf den Bildgrund aufgetragen werden. 

Der malerische Akt besteht im Auftrag von Farblasuren innerhalb der einzelnen Motivfelder, die durch die wulstigen Konturen voneinander getrennt werden. Auf die lasierten, noch feuchten Flächen wird Zeitungspapier gelegt und sofort wieder abgezogen. Die Oberflächenstrukturen der Zeitung werden durch den raschen Abzug verschleiert, vermitteln aber den Charakter eines filigranen Faltenwurfs, den Eindruck einer Aneinanderreihung zahlreicher Silhouetten. Olbrich wiederholt den Vorgang des Lasierens und Abziehens mehrmals, bis das für sie ideale Ergebnis erreicht ist. Wie bei der Solarisation werden auch durch diese Technik fragmentarische bildnerische Details aufbereitet und intensiv weiter verarbeitet. Auch hier wird die kraftvolle Farbgebung als emotionaler Indikator eingesetzt, verstärkt der Prozess des ständigen Lasierens von Farbflächen und das daran anschließende Abziehen des Papiers die auch die Fotografie charakterisierende Flüchtigkeit des Augenblicks.

Renate Olbrichs Welt der Bilder wird in ihre Einzelteile zerlegt, neu komponiert, verfremdet und aufgelöst, dramatisiert und banalisiert, erfunden und komponiert, um dann einzelne Elemente zu einem beziehungsreichen, neu variierten Ganzen zusammenzuführen. Moderne Erzählungen treffen dabei auf antike Mythen, Bildikonen der Medienwelt auf kunsthistorische Zitate. Nach Olbrich darf ein Künstler nicht versuchen, sich lediglich Geschichten im Bild zu nähern, darf sich nicht als Historiker auf der Suche nach absoluter Wahrheit begreifen. Er muss sich der Vielzahl der Geschichten bedienen, um seine eigene Geschichte zu erzählen, und bleibt so in der Subjektivität dennoch objektiv. 

Oliver Zybok