Die in den vergangenen Jahren immer häufiger festzustellende Haltung,
Aussagen nur dann zu akzeptieren, wenn sie von mehr als nur einem Menschen getragen werden,
stellt ein grundlegendes gesellschaftliches Problem dar.
Die Diskussionen über den Klimawandel verdeutlichen diesen Aspekt.
Obwohl schon vor Jahrzehnten von einzelnen Umweltaktivisten und
Wissenschaftlern auf die Konsequenzen der steten Umweltzerstörungen
hingewiesen wurde, erhöhte erst das breite mediale Interesse die öffentliche
Aufmerksamkeit.
Für Renate Olbrich ist in diesem Zusammenhang nur derjenige ein
konkreter Autor, den man für das, was aus seiner Aussage folgt,
verantwortlich machen kann. Daraus wiederum resultiert die Haltung,
Verantwortung zu übernehmen. Nach Ansicht der in Krefeld lebenden
Künstlerin beweist sich Kreativität erst dadurch, dass jemand die
Komplexität und Schwierigkeit einer Sachlage erkennt und sich gegenüber
den eigenen Lösungsansätzen stets kritisch verhält.
Bei einem Mangel eines solchen selbstreflexiven Blicks ist häufig eine
Entfremdung des Menschen von sich selbst zu beobachten, die sich vor allem
in seinem Verhalten gegenüber der Umwelt, zum Beispiel gegenüber anderen Lebewesen zeigt.
Diese Tatsache versucht Olbrich in unterschiedlichen Variationen von Tiermotiven zu veranschaulichen.
Bei ihren neuen Fotografien aus dem Zyklus „Zikadenklänge“, die sie erneut
in ihrer selbst entwickelten analogen Fotografietechnik der Farbsolarisation
umgesetzt hat, handelt es sich um Collagen, die aus mehreren Fotografiefragmenten
bestehen. Nachdem die Künstlerin einzelne Motive collagenartig zusammenfügt,
wird das neue Motiv eingescannt, so dass sich das Resultat für den Betrachter
wie ein computeranimiertes Bild darstellt. Verschiedene Tiere sind zu erkennen,
die in ihrer surrealen Umgebung von morbider Architektur und welkem Laub von der
Entfremdung des Menschen zeugen. So tauchen zum Beispiel immer wieder Abbildungen
skulpturaler Vögel auf, die Olbrich als Verzierung auf der Kühlerhaube eines Autos
entdeckte, Stoffelefanten, ein Ochsengespann aus Holz und ein Rinderschädel.
Der durch die Motivanordnung vermittelte ambivalente Eindruck wird durch den Titel
„Zikadenklänge“ verstärkt: Als Insekten rufen die Zikaden bei Menschen eher eine Abneigung hervor.
Mit ihren Lauten, die man besonders in warmen Sommernächten in südlichen Gefilden wahrnimmt, wecken sie jedoch auch eine idyllische Sehnsucht.
Olbrich verdeutlicht mit ihren neuen Collagen,
dass Tiere heute lediglich als Erscheinungen an den äußersten Rändern der menschlichen
Existenz wahrgenommen und weitestgehend im Hinblick auf ihre Verwendung und ihre
kulturellen Klassifikationen betrachtet werden: als Nutztiere, Versuchstiere,
Spieltiere, Kunsttiere. Dinge und Tiere verweisen bei Renate Olbrich auf die
Komplexität des Lebens: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft wie Leben – Zustand – Vergehen.
Dem Betrachter solcher Zeugnisse stellen sich dabei Fragen nach seiner Wahrnehmungsfähigkeit,
seinem Denkvermögen und seiner Empfindung.